• Dr. Gosch Praxis TCM
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Vortrag

Chronische Erkrankungen als Folge nicht bewältigter klimatischer Einflüsse.

Gezielte Therapie mit Traditioneller Chinesischer Medizin (TCM)

Von Dr. Volker Gosch
23730 Neustadt i. Holst.
32. Medizinische Woche Baden-Baden 1998
Vortrag, gehalten am 5.11.1998

Zusammenfassung:
Auch bei chronischen, bisher therapieresistenten Krankheitsbildern kann durch die Beurteilung des Beschwerdemusters auf der Grundlage der traditionellen chinesischen Diagnostik, zusammen mit typischen Puls- und Zungenbefunden, der auslösende klimatische Einflussfaktor identifiziert werden. Die wichtigsten Einflüsse sind Wind, Kälte und Feuchtigkeit. Mit Akupunktur und chinesischer Arzneitherapie kann gezielt das pathogene Agens eliminiert und damit der Heilungsprozess eingeleitet werden.

Alle reden vom Wetter, die Chinesische Medizin weiß, warum.
Der Einfluss von Wetter und Klima auf unsere Gesundheit ist uns allen bewusst. Auch in unserem Kulturkreis wird niemand ernsthaft bestreiten, daß wir uns mit kalten Füßen und durchnässter Kleidung "erkälten" können oder daß Zugluft eine schmerzhafte Nackensteife nach sich ziehen kann. Bekannt ist uns auch, daß sich rheumatische Beschwerden während der kalten, feuchten Jahreszeit erheblich verschlimmern können, während dagegen trockenes und warmes Klima oft eine erstaunliche Beschwerdelinderung bringen kann.

So richtig ernst genommen werden klimatische Einflussfaktoren bei uns aber bekanntlich nicht, weil unsere westliche Medizin ihre Wirkung auf den Organismus nicht versteht. Ihr fehlt hierfür ein schlüssiges Erklärungsmodell auf naturwissenschaftlicher Grundlage, die von der Schulmedizin immer noch als einzige Legitimation ihres Handelns anerkannt wird.

So bleiben Wetter und Klima ein unerklärliches Randphänomen, dem man allenfalls die Auslösung eines banalen Schnupfens zutraut, keinesfalls aber die Entwicklung langjähriger, therapieresistenter Krankheitsbilder. Zwischen unseren eigenen Alltagserfahrungen und den an den Universitäten gelehrten Krankheitstheorien klafft ein tiefer Graben.
Mit der Chinesischen Medizin kann er überwunden werden.

In der TCM spielen äußere klimatische Einflüsse eine zentrale Rolle sowohl in der Medizin-Theorie als auch in der praktischen Anwendung von Diagnostik und Therapie. Eines der wichtigsten Werke der klassischen chinesischen Medizin-Literatur, das vor ca. 1700 Jahren entstandene Shanghan Lun, trägt den Titel: "Abhandlung über fieberhafte, durch Kälte verursachte Erkrankungen". Dieses Buch beschreibt die typische Entwicklung von Krankheitsbildern beim Eindringen des klimatischen Faktors "Kälte" von der Oberfläche des Körpers in die Tiefe, was zugleich eine Progredienz der Schwere der Erkrankung bedeutet. Bis in unsere Zeit ist das Shanghan Lun eine der wichtigsten Quellen klassischer Kräuterrezepturen für sehr unterschiedliche Krankheitsbilder, die aus Sicht der TCM als Folge nicht bewältigter klimatischer Einflüsse entstehen können.

Die Chinesische Medizin unterscheidet drei Gruppen von krankheitsauslösenden Faktoren:

  • 1. Äußere, klimatische Einflussfaktoren,
  • 2. innere, emotionelle Einflussfaktoren und
  • 3. sonstige Faktoren wie falsche Ernährung oder Überarbeitung.

Mein Vortrag bezieht sich auf die erstgenannte Gruppe, die auch als die 6 Exzesse oder die 6 bösartigen Einflüsse bezeichnet werden: Es sind dies Wind, Kälte, Feuchtigkeit, Hitze bzw. Glut, Trockenheit sowie Sommerhitze.

Ganz entscheidend ist zunächst, daß es hier nicht um die bloße Beschreibung von Witterungseinflüssen geht, sondern um die bildhafte Umschreibung eines energetischen Prozesses, der durch die Einwirkung des äußeren Faktors im Organismus in Gang gesetzt wird. Die Bezeichnung für einen klimatischen Einfluss, z. B. der Begriff "WIND", umfasst immer auch die typischen Funktionsstörungen, die dieser im Körper bewirkt. Das Zusammentreffen bestimmter Schlüsselsymptome aus der Anamnese, zusammen mit Befunden der Zungen- und der Pulsdiagnostik ergibt dann mosaikartig ein charakteristisches Störungsmuster. So gibt es eben Kälte-Muster, Feuchtigkeits-Muster, Wind-Muster, häufig auch kombinierte Störungsmuster.

Die besonderen Merkmale der vier wichtigsten klimatischen Einflüsse sind:

1. Wind (feng):
Bezug zum Funktionskreis Leber.
Wichtige Merkmale einer Wind-Schädigung sind der plötzliche Beginn und die Wechselhaftigkeit der Beschwerden.
Die Oberfläche, also die Haut und die Leitbahnen, ist typischerweise besonders betroffen, außerdem tritt eine Wind-Schädigung eher am Kopf und Oberkörper als an den unteren Körperpartien auf.
Klinische Merkmale, die auf eine Wind-Störung hinweisen, sind Juckreiz, Nackensteife, plötzlich aufgetretene Schmerzen, die in ihrer Lokalisation und Intensität rasch wechseln können, Krampfneigung, Lähmungen, Parästhesien, Schwindel.
Häufig tritt Wind in Kombination mit Kälte und/oder Feuchtigkeit auf und verstärkt deren pathogene Wirkung.

2. Kälte (han):
Bezug zum Funktionskreis Niere.
Allgemeine Merkmale einer Kälte-Schädigung:
Kälte vermindert die Dynamik des qi und des Blutes (xue), friert sie gleichsam ein. Sie erzeugt energetische Blockaden, die sich typischerweise als gleichbleibend starke und ortsfeste Schmerzen bemerkbar machen.
Wenn die Kälte in die Leitbahnen eintritt, folgen starke Gelenkschmerzen und Kontrakturen. Bei Eindringen in die nach den inneren Organen benannten Funktionskreise kann es zu Beschwerden wie z. B. Magenschmerzen, Erbrechen, Durchfall, Dysurie oder auch Regelschmerzen kommen.
Typisch für Kälte sind klare, wässrige oder dünnflüssige Körpersekrete, z. B. als Nasen- oder Bronchialsekret, wässrige Diarrhoe oder klarer Vaginalausfluss.

3. Feuchtigkeit (shi):
Bezug zum Funktionskreis Milz.
Allgemeine Merkmale:
Feuchtigkeit ist schwer, trübe, klebrig, schleichend, sie zieht nach unten, befällt daher auch eher die unteren Körperpartien. Die aktive Energie, das qi, versinkt im Trüben und wird dadurch langsam und träge.
Durch Feuchtigkeit bedingte Schmerzen entwickeln sich allmählich zunehmend, haben oft dumpfen oder ziehenden Charakter und sind häufig mit einem Schweregefühl verbunden.
Typisch für eine Feuchtigkeits-Störung sind reichliche Absonderungen und Ausscheidungen, die meistens dick, zäh und trübe sind, wie z. B. trüber Urin oder starker, trüber Vaginalausfluss; auch nässende Hautausschläge gehören dazu.
Wenn Feuchtigkeit die inneren Funktionskreise befällt, treten typischerweise Appetitverlust, Übelkeit, Blähungen und Durchfall auf, oft verbunden mit "klebriger" Müdigkeit.

4. Glut bzw. Feuer (huo):
Bezug zum Funktionskreis Herz.
Mit Glut ist weniger ein äußerer Hitzeeinfluss gemeint, vielmehr können die übrigen Störungsmuster in schweren Fällen durch sekundäre innere Hitzeentwicklung in Glut übergehen. Durch die Hitze kommt es zu einer Schädigung der struktiven Energien, also des xue und des yin. Klinische Merkmale sind z. B. hohes Fieber, großer Durst, Tachycardie, lokale Rötung und Überwärmung, aber auch Ulzera an Haut oder Schleimhäuten.

Die zwei übrigen klimatischen Faktoren
5. Trockenheit (zag) und
6. Sommerhitze (shu)

will ich hier nur der Vollständigkeit halber erwähnen, sie spielen als äußere Einflüsse bei uns in Mitteleuropa nur eine untergeordnete Rolle.

Die Zuordnung eines klimatischen Einflußfaktors zu einem bestimmten Funktionskreis beeinhaltet eine gegenseitige Wechselwirkung: Einerseits affiziert ein klimatisches Agens bevorzugt den zugehörigen Funktionskreis, andererseits bewirkt ein konstitutionell schwacher oder durch Krankheit geschwächter Funktionskreis, daß der Organismus besonders für den zugeordneten klimatischen Einfluss empfänglich wird. So kann eine Wind-Schädigung besonders den Funktionskreis Leber betreffen, andererseits wird ein Patient mit gespanntem Leber-qi, das sich beispielsweise durch Reizbarkeit und Neigung zu Muskelverspannungen zeigen kann, besonders empfindlich für Wind oder Zugluft.

Wie kommt es nun also zu einer durch klimatische Einflüsse bedingten Erkrankung?
Die Abwehr des klimatischen Faktors geschieht zunächst an der Oberfläche, hier kommt es zu einer Auseinandersetzung mit der sog. Wehrenergie, dem wei qi. Beim Eindringen z. B. von Kälte treten Symptome wie Frösteln, Schnupfen, Kopf- und Gliederschmerzen, Kratzen im Hals oder leichtes Fieber auf, alles Oberflächensymptome.

Wenn aber durch ein gestörtes energetisches Gleichgewicht die Abwehrkräfte bereits deutlich vermindert sind, dringt das klimatische Agens in tiefere Schichten vor. Es kann so zum Befall der Leitbahnen und der Muskulatur mit lokalisierten Schmerzen und Missempfindungen kommen.

Als klinische Beispiele sind hier eine Sehnenscheidenentzündung oder eine schmerzhafte Schultersteife zu nennen.
Bei weiterem Eindringen in die Tiefe werden schließlich auch die Funktionskreise (orbes) befallen, woraus dann z. B. ein Asthma bronchiale oder eine chronische Cystitis resultieren können.

Das therapeutische Ziel muß dann sein, durch geeignete Maßnahmen den pathogenen klimatischen Einfluss wieder an die Oberfläche zu heben und vollständig zu eliminieren. Falls im Krankheitsverlauf bereits durch sekundäre Hitzeentwicklung und Verdichtung sog. feuchte Hitze bzw. heißer Schleim entstanden ist, müssen diese über Darm und Blase oder Haut und Schleimhäute ausgeleitet werden.

Wenn aber, wie in unserer Schulmedizin, der Entstehungsweg der Erkrankung gar nicht erfasst und verstanden wird, sondern jede Funktionsstörung für sich isoliert und auf Symptomunterdrückung zielend behandelt wird, dann erweist sich so manches Beschwerdebild als vermeintlich "therapieresistent". Aus dem Blickwinkel der Chinesischen Medizin aber ist auch ein scheinbar chaotischer Krankheitsverlauf plötzlich nachvollziehbar und auch behandelbar im Sinne von tatsächlicher Ausheilung.

Nach der Theorie möchte ich abschließend die Zusammenhänge an einem Fallbeispiel aus meiner Praxis verdeutlichen:

Ein 56-jähriger Patient leidet seit ca. 1 Jahr unter starken diffusen Gelenk- und Muskelschmerzen besonders der proximalen Extremitäten. Begleitend treten zunehmende körperliche Schwäche, ausgeprägte Müdigkeit, unruhiger, nicht erholsamer Schlaf, Appetitmangel und Blähungen auf. Die Beine seien "schwer wie Blei".

Vor Beginn der geschilderten Symptome hatte der Patient einen fieberhaften Infekt mit Schnupfen, Husten mit gelblichen Auswurf und Ohrenschmerzen mit Hörminderung durchgemacht, trotz (oder wegen??) antibiotischer Behandlung blieb ein anhaltendes Krankheitsgefühl.

Schon seit Jahren bestand außerdem ein nässendes, juckendes Ekzem am rechten Unterschenkel, früher waren häufige Sinusitiden aufgefallen. Der Patient neigt zum Übergewicht. Die zahlreichen fachärztlichen Untersuchungen blieben ohne pathologischen Befund, der einzige auffällige Parameter war die mit 68/120 deutlich beschleunigte BSG.

Die schulmedizinische Diagnose durch den behandelnden Internisten lautete "seronegative rheumatoide Arthritis", obwohl die Symptome zusammen mit der Sturzsenkung eher eine Polymyalgia rheumatica vermuten lassen.

Die anfängliche Cortisonbehandlung linderte zwar die Schmerzen, wurde aber später ebenso wie die nachfolgende Therapie mit Azulfidine wegen erheblicher Nebenwirkungen wieder abgesetzt. Die Schmerzen kamen daraufhin um so heftiger wieder zurück.

Die Zunge des Patienten war auffällig blass und leicht gedunsen, der Belag war verdickt und weiß mit einer Tendenz zu gelblich. Die Pulse waren schwach und schlüpfrig.

Diagnose auf der Grundlage der Chinesischen Medizin:
Der aktuelle Verlauf lässt auf das Vorliegen einer Wind-Feuchtigkeits-Störung (mit Betonung der Feuchtigkeit) in der Muskelschicht und den Leitbahnen schließen. Hierfür sprechen besonders die mit einem ausgeprägten Schweregefühl verbundenen Muskel- u. Gelenkschmerzen. Begünstigt wurde der chronische Verlauf durch eine energetische Schwäche im Funktionskreis Milz und daraus folgender Akkumulation von Feuchtigkeit im Innern, die durch die von außen eingedrungene Feuchtigkeit noch verstärkt wurde. Für diese Annahme sprechen die starke Müdigkeit und körperliche Schwäche des Patienten sowie sein Appetitmangel. Auch der Zungen- und Pulsbefund bestätigen die Diagnose einer Milz-qi-Schwäche mit Ansammlung von Feuchtigkeit.

Die Behandlungsstrategie leitet sich direkt aus der Diagnose ab:
Wind-Feuchtigkeit austreiben, um die Schmerzen zu lindern, den Funktionskreis Milz kräftigen und die im Innern angesammelte Feuchtigkeit trocknen.
Der Patient wurde von mir ausschließlich mit chinesischer Phytotherapie behandelt.

Ich verordnete die folgende erste Rezeptur:

(Dosisangaben jeweils in g pro Tag)

Rd. Saposhnikoviae (fang feng) 3 g
- "Schutzschild gegen Wind"
- scharf, süß; warm
- öffnet die Oberfläche, treibt Wind aus
- wandelt Feuchtigkeit um

H. Siegesbeckiae (xi xian cao) 4 g
- bitter; kalt
- treibt Wind-Feuchtigkeit aus
- lindert Gelenkschmerzen u. Juckreiz

Ram. Cinnamomi (gui zhi) 3 g
- scharf, süß; warm
- wärmt die Leitbahnen, bewegt qi
- vertreibt Kälte; diuretisch

Rhiz. Atractylodis macro. (bai zhu) 4 g
- bitter, süß; warm
- stärkt die Milz, vermehrt das qi
- trocknet Feuchtigkeit, diuretisch

Rhiz. Atractylodis (cang zhu) 2 g
- scharf, bitter; warm
- trocknet Feuchtigkeit, stärkt die Milz
- treibt Wind-Feuchtigkeit aus

Die Rezeptur wurde zwischenzeitlich wegen einer als Reaktualisierung gedeuteten Sinusitis an die aktuelle Symptomatik angepaßt, später aber mit geringen Änderungen weiter verordnet.

Verlauf: Bereits nach 2 Wochen ließen die Muskelschmerzen deutlich nach, die körperliche Belastbarkeit nahm zu.

Nach insgesamt 6 Monaten Veordnungszeit mit wiederholten Intervallen konnte die Behandlung abgeschlossen werden, bis auf ein gelegentliches Ziehen in den Oberarmen sind alle genannten Symptome vollständig verschwunden, auch das langjährige Unterschenkelekzem. Die anfangs deutlich erhöhte BSG war 3 Monate nach Therapiebeginn bereits auf 17/31 gesunken.

In den nachfolgenden 3 Jahren ist bisher kein Rezidiv aufgetreten.

Abschließend möchte ich folgendes betonten:
Gerade bei chronischen, besonders hartnäckigen Erkrankungen lohnt es sich, durch eine ausführliche Anamnese sowie mit Hilfe des Puls- und Zungenbefundes nach den Grundregeln der Chinesischen Diagnostik den primär auslösenden klimatischen Einfluß und die daraus folgenden energetischen Entgleisungen im Organismus herauszuarbeiten.

Durch Akupunktur, aber noch gezielter durch die Chinesische Arzneitherapie kann die Erkrankung dann gleichsam an der Wurzel gepackt und schließlich dauerhafte Besserung erreicht werden.

Literaturquellen:
Porkert M: Die Chinesische Medizin, Econ Verlag (1992)
Schmincke C: Störungen des energetischen Gleichgewichts durch klimatische Faktoren, Chin. Med. 4 (1989) 10-15
Stöger EA: Arzneibuch der Chinesischen Medizin, Deutscher Apotheker Verlag (1998)
Zhang Zhongjing: Shanghan Lun, Abhandlung über fieberhafte, durch Kälte verursachte Erkrankungen mit 500 Fallbeispielen, Verl. für Ganzheitliche Medizin Wühr (1997)

Anschrift des Verfassers:
Dr. med. Volker Gosch
Arzt für Allgemeinmedizin
Naturheilverfahren
Praxis für Chinesische Medizin
Kremper Str. 25 in 23730 Neustadt i. H.